Viel hilft viel! Dieser Spruch trifft bei Mineralstoffen und Spurenelementen nicht zu. Was gut gemeint ist, geht dann schnell nach hinten los. Wir haben bei Experten nachgefragt.
Für ihre Pferde geben Besitzer viel Geld aus. Hand aufs Herz: Die tatsächlichen monatlichen Beträge übersteigen die reine Boxenmiete sicher deutlich. Nicht unerheblich ist dabei das Sümmchen, das man in Form von Energiebarren, Mineralpellets und -pulver sowie Vitaminsirup in der Futterkrippe versenkt. Hilft es denn wenigstens etwas? Wie im Humanbereich (siehe Kasten S. 88) versprechen auch die Hersteller von Zusatzfuttermitteln sowie mineralisierter und vitaminisierte Futtermittel für Pferde positive Effekte. Scharlatanerie und falschen Versprechen sollte man dabei nicht blauäugig aufsitzen. Diese Gefahr hat der Gesetzgeber erkannt und Gesundheits- und Heilversprechen durch Nährstoffe auch bei Pferden verboten. Manche Irrtümer halten sich jedoch hartnäckig unter Pferdebesitzern. So machen verstärkte Magnesiumgaben aus einem nervösen, schreckhaften Pferd keinen Fels in der Brandung. „Magnesium macht nicht die Nerven stark“, bestätigt Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand, promovierte Ernährungswissenschaftlerin. „Aber ein Mangel kann sehr wohl zu Angstzuständen führen.“ Fakt ist, dass ein funktionstüchtiger Organismus ein bestimmtes Nährstoffangebot braucht. Diesen Bedarf muss das Pferd regelmäßig über die Futteraufnahme decken können. Die Zufuhr großer Mengen, gewissermaßen auf Reserve, funktioniert nicht. „Der tägliche Nährstoffbedarf sollte auch über eine tägliche Nährstoffzufuhr gedeckt werden“, betont Weyrauch-Wiegand. „Höhere Gaben dienen lediglich dem Ausgleich in Mangelsituationen, da sind sie richtig und wichtig.“
Zuviel des Guten kann schädlich sein
Überdosierungen darüber hinaus sind unnötig und mitunter sogar schädlich. So kann beispielsweise ein Kalziumüberschuss einen Magnesiummangel verursachen. Dazu gab es in den Niederlanden konkrete Untersuchungen, über deren Ergebnisse BAYERNS PFERDE bereits 2008 berichtete. Dr. Kees Kalis vom niederländischen Gesundheitsdienst für Pferde war aufgefallen, dass Magnesiummangel bei Pferden erschreckend häufig vorkommt. Er untersuchte Hunderte Blutproben von Pferden mit unterschiedlichen Symptomen, die ihre Besitzer eingeschickt hatten, weil mit ihren Pferden etwas nicht stimmte. Das Ergebnis: Bei 55 % lag der Magnesiumwert unter der Norm. Die mögliche Ursache spürte Vincent Hinnen, Ernährungswissenschaftler eines großen Futtermittelherstellers, auf. Er schaute sich das Raufutter in 109 niederländischen Ställen genauer an. 46 % der Proben wiesen einen Magnesiumwert unter der Norm auf. Als nächstes untersuchte er das Kraftfutter. „Mehr als die Hälfte der Pellets haben zu wenig Magnesium, einige zudem eine viel zu hohe Kalziumdosis“, beschrieb Hinnen seine Ergebnisse. Und genau Letzteres war mit eine Ursache für das bestehende Problem. Kalzium und Magnesium haben nämlich gemeinsame Bindungsstellen. Ein Kalziumüberschuss verdrängt das Magnesium und erzeugt so einen Mangel. „Das ist auch der Grund dafür, weshalb Futterzusätze mit viel Magnesium nicht immer die Lösung des Problems sind“, so Vincent Hinnen weiter. „Oft sind diese nämlich mit Kalzium kombiniert und somit rausgeschmissenes Geld.“ „Deshalb ist es wichtig, in der täglichen Ration das richtige Kalzium-Magnesium-Verhältnis zu berücksichtigen“, empfiehlt Dr. Kees Kalis. Dazu sollte man das Etikett des Futtersacks mit den Werten lesen. „Richtig ist das Verhältnis 2 bis 3:1“, so Kalis. Auch Dr. Susanne Weyrauch kennt das Problem: „Kalziumüberhänge sind üblich, schränken aber die Resorption anderer Mineralien, vor allem Spurenelemente wie Mangan, Kupfer, Eisen und Zink ein. Einzelne Mengen- und Spurenelemente dürfen also nur situationsbedingt langfristig in hoher Dosierung zugeführt werden, sonst kommt es zu Verdrängungsreaktionen.“ Genauso sieht es bei Extra-Vitamingaben aus der Dose aus. „Überdosierungen im Bereich von Vitamin A und D sind zum größten Teil nicht nötig und belasten den Stoffwechsel wie alle anderen Substanzen, die ausgeschieden werden müssen“, so Weyrauch-Wiegand. Die Medaille hat also immer zwei Seiten. Nicht gegensätzlicher könnten sie im Fall des Spurenelements Selen sein. Für Mensch und Tier ist es zwar grundlegend wichtig, sorgt aber sowohl bei einer Unter- als auch Überversorgung für akute Probleme. Selen ist nämlich am Aufbau eines Enzyms beteiligt, das für den Abbau von Radikalen und Metaboliten (Stoffwechselzwischenprodukten) verantwortlich ist, welche sich im Stoffwechsel (z.B. bei der Muskelarbeit) bilden. Selen spielt weiter eine grundlegende Rolle bei der Immunabwehr. Bei neugeborenen Fohlen treten Mangelerscheinungen, ausgelöst durch eine Selenunterversorgung der Mutter während der Trächtigkeit, besonders häufig auf. Folgen sind ein steifer Gang und Schwierigkeiten beim Saugen durch eine ernährungsbedingte Muskeldegeneration. Zuviel Selen ist nicht weniger bedenklich, im Gegenteil: Der Überschuss dieses einzelnen Elements wirkt toxisch (giftig). So starben im vergangenen Jahr 21 Poloponys während eines Polo-Events in Palm Beach, Florida, nachdem ihnen versehentlich eine Überdosis Selen verabreicht worden war.
Mineralstoff-Austausch im Knochengewebe
Das bekannteste Mineralstoffverhältnis beim Pferd ist das Kalzium-Phosphor-Verhältnis (Ca:P-Verhältnis). Es hat eine große Bedeutung für den gesunden Knochenstoffwechsel. Anders als viele denken, unterliegt Knochengewebe einem ständigem Umbau. Der Körper eines ca. 500 kg schweren Pferdes enthält ungefähr 7 kg Kalzium und 4 kg Phosphor. 99 % des Kalziums und 80 % des Phosphors befinden sich im Skelett. Beide Elemente stehen in direktem Zusammenhang. Beide Anteile in den Knochen werden alle 50 Tage komplett ausgetauscht. Wie aktiv Knochengewebe ist, sieht man übrigens deutlich an der Entstehung eines Überbeins (Exostose). „Oft entsteht ein Überbein über Nacht, nachdem sich ein Pferd angeschlagen oder verletzt hat“, so Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand. Das ideale Kalzium-Phosphor-Mengenverhältnis im Knochen von etwa 2:1 sollte sich daher auch in der täglichen Futterration widerspiegeln. Schwankungen von 1,2:1 bis 3:1 werden dabei über einen kurzen Zeitraum in gewisser Weise toleriert. Ein zu hoher Phosphoranteil beeinträchtigt jedoch stark die Kalziumverwertung. Das Ergebnis ist eine Demineralisierung der Knochensubstanz mit dem Ergebnis der erhöhten Anfälligkeit für Entzündungen, Knochenauftreibungen (Überbeine), Sehnenabrissen und Frakturen. Übrigens: Die ausgeglichene Fütterung macht noch lange kein gesundes Pferd. „Ein gutes Beispiel für diese Stoffwechselaktivität im Knochen ist die rasche Entkalzifizierung, wenn der Körper eine Weile nicht belastet wird“, erklärt Weyrauch-Wiegand. Dieses Phänomen kenne man aus der Raumfahrt (Stichwort Schwerelosigkeit) und auch von Pferden, die lange stehen müssen.
Viele Nährstoffangaben für Futtermittel stimmen nicht
„Der Nährstoffbedarf wird als ein geschätzter, zuverlässiger Mindestwert definiert, der die Wahrscheinlichkeit von mangelbedingten Erkrankungen senkt“, fasst Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand zusammen. Verlässliche Bedarfszahlen für Nutztiere wurden dazu erstmals von Prof. Dr. Manfred Kirchgeßner publiziert. Das Buch „Tierernährung“ wurde zum Standardwerk für die moderne, leistungsgerechte Tierfütterung und ist bereits in der zwölften Auflage erschienen. In groß angelegten Mangelversuchen ermittelte Kirchgeßner dort Nährstoff-Mindestbedarfszahlen für Nutztiere. „Der tatsächliche Bedarf ist Schwankungen unterworfen“, so Weyrauch-Wiegand. „Individuell spielen da die Lebensumstände wie Trächtigkeit oder Laktation, Stress-Situationen und Krankheit eine Rolle.“ Auch könne eine genetische Disposition für einen Mangel vorliegen. Neben einem erhöhten Bedarf kann ein Nährstoffmangel auch vom Grundfutter herrühren. „Der Nährstoffgehalt im Grundfutter ist in den letzten Jahren stark gesunken“, so die Expertin. Viele Nährstoffangaben würden daher gar nicht mehr stimmen. Außerdem würden sich die aufwendigen Berechnungen zur Futterration meist nur auf wenige Grundnährstoffe beschränken (z.B. Energiegehalt, Eiweiß, Kalzium, Phosphor) und andere außer Acht lassen.
Aber wie macht man es nun richtig?
„Das richtige Verhältnis von Mineralstoffgaben ist sehr komplex und letztendlich wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt“, weiß Dr. med. vet. Astrid Reitz. Man solle daher immer auf äußere Zeichen wie Veränderungen im Fell und im Temperament des Pferdes achten. Statt nur auf die Symptome für einen bestimmten Nährstoffmangel zu reagieren, vertritt Reitz noch eine andere Strategie. „Ich empfehle meinen Kunden, einmal im Jahr eine Blutuntersuchung kombiniert mit einer Haaranalyse machen zu lassen. Vor allem bei älteren Pferden oder Leistungspferden ist das meiner Meinung nach unerlässlich.“ Idealerweise gehöre noch eine Untersuchung von Heu und Kraftfutter dazu. Kostengünstig angeboten werden diese Untersuchungen vom Institut für Tiergesundheit in der LUFA Nord-West (Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt), ein akkreditiertes Dienstleistungslabor mit fünf verschiedenen Instituten an den Standorten Hameln und Oldenburg. „Mit den Analysen kann man sich dann an seinen Tierarzt oder einen qualifizierten Futterberater wenden“, so die Fachfrau. Grundsätzlich ist für sie die Heu-Hafer-Fütterung das Natürlichste. Zusätzlich ist ein Mineralfutter unerlässlich. Hier spiele aber die Bio-Verfügbarkeit der Nährstoffe eine entscheidende Rolle. Darauf pocht auch Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand. Mineralstoffe, Vitamine und Spurenelementen, die natürlich gebunden sind (z.B. in Kräutern oder im Kalk von Muscheln), ist daher absolut der Vorzug zu geben. Im Humanbereich sind synthetisch erzeugte Stoffe schon lange in die Kritik geraten. Dass künstlich hergestellte Mineralstoffe und Spurenelemente für den menschlichen Organismus nicht optimal verwertbar sind, ist dort bereits hinlänglich bekannt. Weiterhin kann man schon rechtzeitig auf Ausnahmesituationen reagieren. Solche sind der Fellwechsel im Frühjahr und im Herbst sowie die die Aufbauphase eines Leistungspferdes vor der Turniersaison. „Da kann ich mit Extra-Nährstoffgaben einer Mangelerscheinung vorbeugen, bevor sie sich hochschaukelt und andere nach sich zieht“, empfiehlt Dr. Astrid Reitz. Und noch etwas. „Der Wert auf der Packung sagt nichts darüber aus, was letztendlich im Organismus ankommt“, so die Veterinärin. „Von Pferd zu Pferd und je nach Stoffwechsellage, kann es da Schwankungen geben.“ Ihr Tipp: „Wechseln Sie alle drei Monate ihr Mineralfutter. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Organismus ihres Pferdes sich das was er braucht herauszieht, ist so größer.“
Fazit: Man sollte genau abwägen, was im Futtertrog des eigenen Pferdes landen soll, was nötig und was unnötig ist. Absolut richtig liegt man, wenn man dabei Futterqualität, die äußeren Anzeichen und die Lebenssituation des einzelnen Tieres immer im Auge behält. Kombiniert mit Blutanalyse und fachkundiger Futterberatung ist man dann auf der sicheren Seite.
A. Strehle Quelle: Bayerns Pferd und Sport